Guido Kempter, Leiter des Forschungszentrums Human-Centred Technologies, im Gespräch
(Ausgabe 4 / 2024) Ein Blick zurück auf ein Vierteljahrhundert Forschung an der FHV und mit der Stärke von Shared Leadership in die Zukunft: Im obersten Stockwerk des neuen Gebäudetrakts G treffe ich Guido Kempter, Leiter von HCT Research - ein Pionier der FHV-Forschung mit faszinierender Weitsicht.
Guido, du bist habilitierter Kommunikationspsychologe mit vielseitiger Forschungserfahrung und hast die Forschung der FHV von Beginn an maßgeblich mitgestaltet. 2004 hast du mit dem Forschungszentrum User-Centred Technologies – dem heutigen HCT Research – sowohl den Ausbau der FHV-Forschung als auch die Inhalte wesentlich geprägt. Erzähl uns bitte mehr darüber.
Als ich im Jahr 2000 als Hochschullehrer an die FHV berufen wurde, gab es an dieser Hochschule noch keine probate Forschungsinfrastruktur. Weil ich es aber so kannte, dass Forschung und Lehre eng miteinander verbunden sein müssen, hatte ich in den ersten drei Jahren meine Untersuchungen im Büroraum durchgeführt, den ich mit einem Hochschullehrer teilte. Die notwendigen Gerätschaften konnten aus Lehrräumen ausgeliehen werden. Erste Forschungsaufträge ermöglichten schließlich den Ankauf eigener Geräte.
2003 rief die Hochschulleitung zur Einreichung von Anträgen für den Aufbau von interdisziplinären Forschungszentren auf. In diesen neuen Organisationseinheiten sollten Forschende aus allen Bereichen die Möglichkeit haben, eine kritische Masse für größere, internationale Forschungsprojekte zu schaffen, mit Schnittstellen zu all jenen Bereichen, die damals an der FHV gelehrt wurden. In einem hochschulweiten kompetitiven Verfahren setzten sich drei Anträge durch, und es kam 2004 zur Gründung der drei Forschungszentren Mikrotechnik, Nutzerzentrierte Technologien sowie Produkt- und Prozessengineering.
In der Folge konnte ich im Forschungszentrum Nutzerzentrierte Technologien sukzessive ein Team aus etablierten und aufstrebenden Forscher:innen sowie eine sehr gute Forschungsinfrastruktur mit dem Usability Research Lab und dem Virtual Reality Lab aufbauen. Bereits 2006 hatten wir als erste österreichische Fachhochschule eine F&E-Projektförderung im damaligen Europäischen Forschungsrahmenprogramm eingeworben. Seither konnten wir unsere Forschung kontinuierlich ausbauen – bei stetig hoher Drittmittelquote und einem klaren Fokus auf gesellschaftlich und wirtschaftlich relevante Themen. 2023 erfolgte die Umbenennung in Human-Centred Technologies (HCT-Research), um die Anpassung unserer Forschungsstrategie widerzuspiegeln.
Was braucht es aus deiner Sicht, um in Vorarlberg ein Forschungszentrum erfolgreich aufzubauen?
Vorarlberg zeichnet sich meines Erachtens durch eine heterogene und für Forschende schwer zugängliche Wirtschaftsstruktur sowie ein eher traditionelles und souveränes Gesellschaftssystem aus. Die daraus resultierende Schwierigkeit für Forscher:innen zeigt sich in einer im Vergleich zu umliegenden Regionen niedrigen Forschungsquote in Vorarlberg. Dennoch gibt es für forschungsfreudige Menschen mit großer intrinsischer Motivation für ihre Forschungsthemen viele Möglichkeiten, in der Region nachhaltig etwas zu bewirken und gleichzeitig in der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft wirksam zu sein.
Themen gibt es viele, die für die Wirtschaft und Gesellschaft in Vorarlberg hohe Relevanz haben. Wir haben uns von Anfang an mit den verschiedenartigen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Technik beschäftigt. Dies betrifft Produkte des alltäglichen Gebrauchs und Produkte, die in Vorarlberg produziert werden. Erkenntnisse über Wechselwirkungen zwischen Mensch und Technik gehören zu wichtigen Ansatzpunkten für die Steigerung der Lebensqualität.
Du hast international geforscht – in Deutschland, der Schweiz, in den USA und in Frankreich. Was ist das Besondere der Forschung an der FHV?
Für mich sind es die Interdisziplinarität und der Anwendungsbezug. An der FHV steht die Bewältigung von aktuellen Herausforderungen im Zentrum und nicht die Sicherung der wissenschaftlichen Disziplinen. Dennoch muss gleichzeitig der internationale wissenschaftliche Fortschritt im Blick behalten werden, damit ein geeigneter Transfer in die Region stattfinden kann. Diesen Spagat zu schaffen, ist nicht einfach, aber wir haben an der FHV ausgezeichnete Bedingungen dafür.
Ich hatte auch interessante Berufungen an Universitäten in Deutschland und Österreich und ging in längere Berufungsverhandlungen. Ausschlaggebend dafür, weshalb ich mich schließlich immer wieder für die FHV entschieden habe, war die Möglichkeit an der FHV, die Forschung im genannten Themenbereich mit gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Impact in der Region direkt zu verbinden.
Was zeichnet das Forschungszentrum Human-Centred Technologies aus?
Neben den Forschungsthemen, für die sich die Teammitglieder voll begeistern, und den vielen Projekterfolgen ist es vor allem die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Die Zusammenarbeit in unserem Forschungszentrum wurde von einer Expertin als repräsentatives Beispiel für Shared Leadership herausgearbeitet. Vereinfacht gesagt, kann im Rahmen gemeinsam definierter Forschungsprojekte jedes Teammitglied eine Führungsrolle übernehmen und dann jedem anderen Projektmitglied zielgerichtete Aufgaben delegieren.
Darüber hinaus lässt sich Shared Leadership an den zentralen Werten festmachen, an denen sich unser Team orientiert: Es gibt die Bereitschaft, die Absichten, Ideen, aber auch Emotionen der anderen Teammitglieder zu verstehen. In der weiterführenden Zusammenarbeit ist es dann die absolute Zuverlässigkeit, zu einer Zusage zu stehen, die man anderen Personen macht. Und schließlich ist es die Gewährleistung der völligen Gestaltungsfreiheit, die aber nur dann Sinn macht, wenn die anderen zwei Werte vorausgesetzt werden können.
Wie sieht die Zukunft der Disziplinen aus, die ihr am Forschungszentrum vereint? Welchen Trend beobachtest du?
An den eingangs genannten Forschungsthemen Usability und Virtual Reality kann veranschaulicht werden, wie sich die Herausforderungen der Wirtschaft und Gesellschaft verändert haben. Damals wurden sehr oft Anfragen von regionalen Unternehmen an uns gestellt, die Effizienz und Effektivität ihrer Produkte und damit die Leistungserbringung zu optimieren; heute steht bei den Produkten die Förderung der Gesundheit des Menschen im Vordergrund. Früher zielten Bildungseinrichtungen darauf ab, effizient und effektiv Wissen zu vermitteln; heute geht es darum, dass Menschen durch neue Lernerfahrungen ihr Potential besser entfalten können.
Warum begeistern sich junge Wissenschaftler:innen für die Mitarbeit in eurem Forschungszentrum?
Wir sind ein hoch engagiertes Team aus Forscher:innen, die im kollegialen Umgang miteinander eine nachhaltige Veränderung in Gesellschaft und Wirtschaft bewirken wollen, wir übernehmen dafür Verantwortung. Und wir wollen wachsen. Diese Atmosphäre zieht viele an.
Zur Person:
Guido Kempter ist gebürtiger Dornbirner, Vater einer erwachsenen Tochter und arbeitete vor seinem Eintritt in die FHV an der Universität München (Institut für Medizinische Psychologie), im Dartmouth College in den USA (Department of Psychological and Brain Sciences), an der Universität Paris (Laboratoire Cognition & Usages) sowie an der Universität Duisburg (Informatik und angewandte Kognitionswissenschaft).
Privat gilt seine Leidenschaft der Kulinarik: Guido erforscht Esskulturen weltweit – von der Dominikanischen Republik bis nach Vorarlberg, baut dafür das Gemüse und die Kräuter an und genießt die zubereiteten ursprünglichen Gerichte mit anderen Genussmenschen.